Orgelwerke
Weingarten, Basilika
Restaurierung der Chororgel | 2012
Baugeschichte Kirchenraum
Bereits 739 wurde Altdorf, das heutige Weingarten, erstmals urkundlich erwähnt. Schon damals stand eine kleine Pfarrkirche auf dem Martinsberg. Im 11. Jahrhundert wurde dort ein Benediktinerkloster gegründet und eine romanische, dreischiffige Basilika errichtet. Im Jahr 1090 schenkte die Gattin Welfs IV der Abtei eine Heilig-Blut-Reliquie, die heute noch im Altar zu besichtigen ist. 1715 wurde der alte romanische Bau abgerissen und bis 1724 ein neues Gotteshaus gebaut. Es ist bis heute die größte Barockkirche nördlich der Alpen und wird auch "Schwäbische St. Peter" genannt. Die Grundfläche entspricht exakt der Hälfte des Petersdom in Rom. Die Basilika in Weingarten ist ein Barockjuwel von europäischem Rang.
Baugeschichte Chororgel
Zwei Jahre vor der feierlichen Einweihung der Basilika wurde der Auftrag für die Chororgel an Joseph Bossart aus dem wohl bedeutendsten schweizerischen Orgelbauergeschlecht aus Zug vergeben, von dem mehrere Orgeln bekannt waren. Das Instrument stand mittig des Chorraums. Bereits 1730 war die Chororgel reparaturbedürftig geworden, sie galt als "verfault" und "verderbt." Daraufhin berief der frisch gewählte Abt Alphons Jobst (1684-1738) den jungen Orgelmacher Joseph Gabler, der gerade die große Orgel in Ochsenhausen baute, zu einer Begutachtung der Chororgel. Joseph Gabler erhielt den Auftrag zur Reparatur der Chororgel. Er konnte den Weingartener Konvent dermaßen von seinen fachlichen Qualitäten als Orgelbauer überzeugen, dass er 1737 den Auftrag zum Bau der Hauptorgel und einer neuen Chororgel erhielt. 1743 war Gabler mit der Chororgel fertig, sie hatte der Sage nach 22 Stimmen mit 2222 Pfeifen. Er erhielt dafür 666 Gulden. Das Gehäuse, hinter dem Chorgestühl aufgestellt, wurde unter Leitung von Simon Feuchtmayer aus Salem vom Klostertischler Joseph Koch angefertigt. Orgel und Spieltisch befanden sich auf der Evangelien(Nord)-Seite des Chores. Im spiegelbildlichen Prospekt auf beiden Seiten des Chorgestühls befinden sich die Pfeifen des Choralbasses. Die Pfeifen auf der Epistel(Süd)-Seite wurden durch einen über 20m langen Trakturkanal mechanisch angesteuert. Im Jahr 1900 wurde durch den Orgelbauer Julius Schwarzbaur, Mindelheim, die Chororgel unter Verwendung des alten Pfeifenwerks neu gebaut. Weitere Gabler-Substanz gingen kurz nach der Wiedererrichtung des Benediktinerklosters 1923/24 verloren. Franz Xaver Späth (II. Generation unserer Orgelbauerfamilie) errichtete eine quasi neue Chororgel mit zwei Manualen und 36 Registern unter Verwendung alter Teile (u.a. der Schwarzbaur-Windladen). Dabei wurde der Spieltisch auf die andere Seite des Chorgestühls umgesetzt. Auf Betreiben von Pater Winfried Ellerhorst entfernte Albert Reiser, Biberach, 1932 etliche Register und baute dafür sieben neue ein. 1934-37 wurde wiederum eine nahe zu neue Chororgel mit 46 Registern auf drei Manualen nach Pater Winfred Ellerhorst durch die Firma Reiser erbaut.
Auszug aus dem „Handbuch der Orgelkunde“ von Winfred Ellerhorst, 1936 (hier klicken).
Restaurierung 2012
Aus der bewegten Baugeschichte des Instruments ist ersichtlich, dass die uns vorgefundene Situation sehr vielschichtig ist. Jedes Werk verfügt über zwei Windladen (Schwarzbaur 1900 und Späth 1923), welche zusammengefügt wurden. Der Großteil des Pfeifenwerks (2138 Stück, 57%) ist von dem Umbau 1934-37 durch Pater Ellerhorst mit Fa. Reiser. Das Instrument wurde durch unsere Werkstatt in seinem vorgefundenen Bestand restauriert. Eine Rückführung auf die Gabler-Orgel von 1743 war nicht möglich, da weder Windladen, noch Spieltisch oder Skizzen überliefert sind. Auf der hinteren Seite des Chorgestühls sind noch Spuren der ursprünglichen Orgel vorhanden, lassen aber nicht auf eine Anordnung oder gar Größe der Windladen schließen.
In der jetzigen Orgel befinden sich noch vier originale Gabler-Register. Diese wurden zum Teil verändert und wurden durch uns in ihrer ursprünglichen Funktion rekonstruiert:
- Auf der Rückseite der Pfeifen des berühmten 15-fachen Choralbasses in den zwei Prospekten wurden große Fenster, Expressionen und neue Stimmeinrichtungen eingeschnitten. Teilweise klangen Pfeifen dadurch über eine Oktave höher als ursprünglich von Gabler angelegt. Die originale Zusammenstellung war noch gut ersichtlich und wurde rekonstruiert.
- Im Pedal befand sich zuletzt ein Register Quintadenbass 4', welches ursprünglich von Gabler als Quintade 8' für das Hauptwerk gebaut wurde. Die fehlenden Oktaven (C-H und fs1-a3) wurden nach Vorbildern aus den noch vorhandenen Pfeifen und einem ähnlichen Register in der Hauptorgel rekonstruiert und das Register auf einer separaten Kegellade an das Hauptwerk angebaut.
- Die in Kastanienholz gefertigte Hohlflöte 8' ist noch komplett von Gabler überliefert und steht im Hauptwerk. Lediglich im Diskant wurden Pfeifen auf den heutigen Tonumfang ergänzt. Dieses Register wurde restauriert und der starke Wurmbefall behandelt.
- Der Principalbass 16' im Pedal ist ebenfalls noch original von 1743. Lediglich an den Aufschnitten wurden mehrfach unschöne Veränderungen ausgeführt. Das Register wurde überarbeitet und die original Aufschnitthöhe rekonstruiert.
Die Fertigstellung der Restaurierung wurde mit einer Orgelweihe am 11. November 2012 gefeiert.
Disposition
I. Hauptwerk C-a3
- Grossprinzipal 16'
- Prinzipal 8'
- Weidenflöte 8'
- Hohlflöte 8'
- Quintade 8'
- Prästant 4'
- Kleinflöte 4'
- Quinte 2 2/3'
- Oberoktave 2'
- Kornet 3-5 f. 8'
- Mixtur 4 f. 2'
- Trompete 8'
- Bärpfeife 8'
II. Schwellwerk 1 C-a3
- Bourdon 16'
- Geigend Prinzipal 8'
- Violdigamba 8'
- Fernflöte 8'
- Nachthorngedackt 8'
- Schweizerflöte 8'
- Oktave 4'
- Blockflöte 4'
- Nassat 2 2/3'
- Rohrflöte 2'
- Mixtur 3-4 f. 1 1/3'
- Dulzian 16'
- Trompete 8'
- Klarine 4'
III. Schwellwerk 2 C-a3
- Hornprinzipal 8'
- Gemshorn 8'
- Lieblich Gedackt 8'
- Nachthorn 4'
- Musikgedackt 4'
- Waldflöte 2'
- Terz 1 3/5'
- Oberquinte 1 1/3'
- Nachthörnlein 1'
- Kalomela 3 f. 2/5'
- Rankett 16'
- Oboe 8'
- Krummhorn 8'
- Harfenregal 8'
Pedal C-f1
- Prinzipalbass 16'
- Subbass 16'
- Oktavbass 8'
- Gemshornbass 8'
- Choralbass 10-15 f. 4'
- Oberoktavbass 4'
- Flötbass 2'
- Posaunenbass 16'
- Trompetenbass 8'
- Regalbass 2'